Die Netzflickerin by Maarten 't Hart

Die Netzflickerin by Maarten 't Hart

Autor:Maarten 't Hart [Hart, Maarten 't]
Die sprache: deu
Format: epub
ISBN: 3716022373
Herausgeber: Arche Verlag
veröffentlicht: 2011-05-15T15:37:57+00:00


Zwart Nazareth

Simon lebte in jenen Tagen wie alle anderen, trank Kaffee-Ersatz mit Magermilch, kaufte gelegentlich eine alte Kaninchendame in der Konijnenbuurt, schlachtete sie selbst und aß dann am ersten Tag Hirn, Wangen, Leber, Herz und Nieren und an den beiden folgenden Tagen das Fleisch. Er brauchte nur wenig und erwartete auch nicht viel. Wenn er überhaupt hatte Hunger leiden müssen, war das in den letzten Monaten des Jahres 1943 nicht der Fall. Er hatte nicht einmal Appetit. Er schleppte nur immer den Melkschemel durchs Haus, setzte sich manchmal selber drauf, stand aber meistens gleich wieder auf. Er hielt zwar nichts von Goethe, murmelte aber doch ab und zu, weil die wenigen Worte haargenau ausdrückten, was ihm fehlte: »Meine Ruh ist hin, mein Herz ist schwer.« Zunächst wollte er nicht glauben, daß auch die nächsten Zeilen aus Gretchen am Spinnrade für ihn galten: »… ich finde sie nimmer und nimmer mehr.« Wenn sie nur wiederkommen würde, an einem Freitag, um neues Pulver zu holen, wenn er nur mehr über sie wüßte, dann würde sofort alles gut sein. Und so galt auch für ihn: »Nach ihr nur schaut er zum Fenster hinaus.«

Er nahm sich vor, wenn sie wiederkommen sollte, ihr auf dem grundsoliden alten Fongers, den Onkel Herbert in dem Hinterhöfchen der Apotheke hatte stehenlassen, in aller Seelenruhe zu folgen, sobald sie weggefahren war. Dann käme er wenigstens dahinter, wo sie wohnte. Er pumpte die Reifen auf, fettete den Fongers gründlich ein, ölte die Kette, putzte die Felgen und dachte dabei mißmutig: Wenn ich es aufpoliere und damit fahre, gehe ich natürlich das Risiko ein, daß die Moffen es beschlagnahmen.

An einem Freitagnachmittag kam sie, kurz vor Ladenschluß. Sie bat um verschiedene Arzneien. Ihr Lachen war wie früher, aber sie blieb demonstrativ vor dem Tresen stehen und tat so, als sei nichts zwischen ihnen vorgefallen.

Er fragte: »Alles in Ordnung?«

»Es könnte besser sein, aber das kann zur Zeit jeder sagen.«

»Auch mit Niek und Pleun alles in Ordnung?«

Sie runzelte die Augenbrauen, sah ihn vorwurfsvoll an, antwortete nicht. So sagte er auch nichts mehr, brachte ihr, was sie brauchte, dachte: Nichts, überhaupt nichts, nicht einmal ein Kuß fällt dabei ab.

Als sie den Laden verließ, sagte sie nur: »Danke.«

»Auf Wiedersehen«, sagte er, »ich sehe dich doch wohl wieder.«

Sie nickte nicht einmal, sie verließ hastig den Laden, stieg auf ihr Fahrrad, winkte zwar noch kurz, fuhr dann aber schnell in der Dunkelheit davon. Er schloß den Laden ab, rannte nach hinten, holte den Fongers heraus – zufrieden mit sich, daß er die Reifen nachgesehen und aufgepumpt hatte – und stellte ihn in den Gang neben der Apotheke. Er packte drinnen seinen Wintermantel, rannte hinaus, sprang aufs Fahrrad und fuhr über den Markt. Sie war nirgends mehr zu sehen, aber er vermutete, daß sie wieder zur Klappbrücke gegangen war und nun auf dem Zuiddijk in östlicher Richtung fuhr. Auf der Höhe des Friedhofs war noch immer nichts von ihr zu sehen. Auf dem Vlaardingerdijk sah er sie, schon ziemlich weit vorn, im spärlichen Mondlicht schnell dahinfahren. Das ist eine,



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